Von der Not und dem Segen des Gebetes by Unknown

Von der Not und dem Segen des Gebetes by Unknown

Autor:Unknown
Die sprache: eng
Format: epub
ISBN: 0000000000000
veröffentlicht: 2021-10-07T08:39:07+00:00


Das Gebet der Not

Klage und Anklage können manchmal berechtigt sein. Aber wenn sie einmal erhoben sind, ist der Angeklagte immer – wenn vielleicht auch unvermeidlich – im Nachteil, eben weil er angeklagt ist und allein darum schon oft von den andern die Verteidigung und die Rechtfertigung als geheimes Eingeständnis der Schuld empfunden wird. Wenn einer sich verteidigen muss, dann scheint etwas nicht zu stimmen, denken die Menschen nur allzu leicht, sonst bräuchte es ja diese ganze Verteidigung gar nicht.

Weil es dieses merkwürdige Gesetz – leider – wirklich gibt, so begreift man, dass es schon aus diesem Grunde eine schwere Aufgabe ist, die Verteidigung des Bittgebetes zu übernehmen, die Anklage ruhig zu Wort kommen zu lassen, sie ernst zu nehmen, wirklich ernst zu nehmen, was der gequälte und bitter gewordene Mensch gegen das Bittgebet sagt, und doch nach aller Klage und Gegenklage, nach aller Rede und Widerrede zu glauben und innerlich zu verstehen, dass wir bitten müssen und nicht nachlassen dürfen.

Das ist schwer. Denn der Ankläger ist in diesem Fall der ganze Weltenlauf. Zu Richtern haben sich selbst ernannt alle bitteren und verzweifelten Herzen. Und als Belastungszeugen melden sich die vereinten Nationen aller Unglücklichen. Und wer fühlt sich nicht unglücklich, wenn er anklagen kann? Aber selbst wenn man in der Auswahl der Belastungszeugen streng sein wollte und die Frechen und die Nörgler und die Glücksritter und die fröhlich Leichtsinnigen ausscheiden wollte – am Ende sind wir alle doch Arme und Unglückliche, und so sind schließlich doch alle auf der Zeugenbank gegen das Bittgebet versammelt. Und diese alle kommen von überallher. Sie kommen aus allen Ländern, aus allen Zeiten, allen Altern und Klassen. Und was sie sagen gegen das Bittgebet, ist die eine und selbe Klage der Verzweiflung, der Enttäuschung, des zornigen oder des müden Unglaubens. Und diese Klage heißt (oh, man könnte sie endlos fortspinnen):

Wir haben gebetet, und Gott hat nicht geantwortet. Wir haben geschrien, und Er ist stumm geblieben. Wir haben Tränen geweint, die unsere Herzen verbrannten. Wir wurden nicht vor sein Antlitz vorgelassen. Wir hätten Ihm beweisen können, dass unsere Ansprüche bescheiden, dass sie erfüllbar sind, wo Er doch der Allmächtige ist; wir konnten Ihm klarlegen, dass die Erfüllung dieser Bitten im eigensten Interesse seiner Ehre in der Welt und seines Reiches ist – wie sollte sonst einer noch glauben können, dass Er der Gott der Gerechtigkeit und der Vater der Erbarmung und der Gott allen Trostes ist, dass Er überhaupt ist? – Wir wollten über alle Gründe und Gegengründe hinweg an sein Herz appellieren, an das Herz, das sich einfach erbarmt und der Gerechtigkeit und anderen Überlegungen großzügig befiehlt, sich zufriedenzugeben; wir hätten Vertrauen gehabt, das Berge versetzt (wenn es nur daran fehlen sollte); wir hätten Ihm gezeigt, warum wir schon allen Grund haben, verzweifelt zu sein über sein Schweigen; wir hätten ein endloses Aktenmaterial gehabt: das unerhörte Gebet für die verhungerten Säuglinge, die unerhörte Klage für die Kleinen, die an der Halsbräune¹ erstickten, der Jammer der geschändeten Mädchen, der zu Tod geprügelten Kinder, der ausgebeuteten Sklaven der



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